Die Industrie- und Firmengeschichte Sudenburgs
Alles begann mit der Erkenntnis, dass sich aus der unscheinbaren Wurzel
                                  der Zichorie ein kaffeeähnliches Produkt herstellen
                                  läßt. Als Erfinder dieses Ersatzkaffees gelten der Major
                                  Christian von Heine (Holzminden) und der Gastwirt Christian Gottlieb
                                  Förster (Braunschweig), denen 1869/70 die ersten Konzessionen zur
                                  Herstellung von Zichorienkaffee in Berlin und Braunschweig erteilt
                                  wurden.
                                  Die erste Sudenburger Zichorienfabrik wurde 1788 von den Magdeburger
                                  Kaufleuten Reinhardt & Helle angelegt. Viele weitere sollten
                                  folgen.
                                
 
 
                                  
                                  Die Herstellung:
                                  Im ersten Produktionsschritt werden die Wurzeln der Zichorie gereinigt,
                                  in kleine Würfel geschnitten und an der Luft getrocknet. Unter
                                  Zufuhr von Hitze werden die Wurzeln getrocknet (gedarrt), wobei sie ca.
                                  75 % ihrer Feuchtigkeit verlieren. Nach dem "darren" werden sie noch
                                  bis zu 3 Monate trocken gelagert, bevor sie weiterverarbeitet werden
                                  können.
                                  Im zweiten Produktionsschritt werden die getrockneten Zichorien in
                                  Brenntrommeln bei ca. 120 °C geröstet, wobei der Saft der
                                  Zichorie karamellisiert und ein kaffeeähnlicher Geschmack
                                  entsteht. Nach Abkühlen werden die gerösteten Wurzeln zu
                                  einem feinen Pulver zermalen. Vermischt mit Speiseölen,
                                  Carbonaten, Melasse und Zucker entsteht das karamellbraune Endprodukt:
                                  Zichorienkaffee.
                                  Betriebe die sich auf den ersten Arbeitsschritt beschränkten,
                                  bezeichnet man als Zichoriendarren. Sie lieferten ihr Zwischenprodukt
                                  an die Zichorienfabriken, die die Weiterverarbeitung
                                  übernahmen.
                        
War die Herstellung anfangs noch größtenteils Handarbeit, so entwickelte sich nach und nach eine arbeitsteilige Großproduktion. Mit Einführung der Dampfmaschine wurde der Verarbeitungsprozess weiter automatisiert. Die ständig wachsende Produktion führte immer mehr Arbeiter nach Sudenburg, die in den Betrieben Arbeit fanden. Anders als in den Zuckerfabriken, in denen fast nur Männer beschäftigt wurden, lag der Frauenanteil in den Zichorienfabriken bei fast 50 %. Auch Kinderarbeit war in den Betrieben die Regel.
Der Wohnungsbau in Sudenburg konnte mit dem Zuzug der Arbeiterfamilien nicht schritthalten, was teilweise zu sehr schlimmen Wohnverhältnissen führte. Bei einer Kontrolle der Krakau'schen Darre an der heutigen Salzmannstraße wurde entdeckt, dass um die 30 Personen auf den Dachböden über den Darrengebäuden nächtigten. Ein sehr gefährliche Angelegenheit, denn es kam nicht selten vor, dass Darrengebäude niederbrannten und wieder aufgebaut werden mussten.
Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich der Geschmack wieder zum Bohnenkaffee gewandelt und der alternative Malzkaffee wurde in der Bevölkerung immer beliebter. Die Zeit der Zichorie war vorbei. Durch die stetig sinkende Nachfrage wurden die Zichoriendarren und -fabriken nach und nach aufgegeben, die Produktionsgebäude abgerissen.
Heute gibt es in Sudenburg keinerlei bauliche Zeugnisse dieser Betriebe mehr.
aktualisiert: 27.07.2015
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